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Gästelenkung Reloaded – Learnings aus unserem dwif-Impuls

Mittwoch, 06. April 2022

Mehr als 100 Teilnehmer*innen waren beim Jahresfinale unserer Online-Reihe „dwif-Impulse“ dabei. Am 1. Dezember 2021 fanden sie zum elften und gleichzeitig zum letzten Mal im Jahr 2021 statt. Auch das Thema war besonders: Wie bereits zum Start unserer Online-Reihe im Sommer 2020 stand noch einmal das hoch aktuelle Thema Gästelenkung auf dem Programm. Spannende Gäste diskutierten mit unseren Kolleginnen Maike Berndt und Dr. Andrea Möller unter anderem darüber, welche innovativen und wirkungsvollen Ansätze sich wirklich zur Verhaltensänderung eignen und welche Chancen sich dadurch für den Tourismus ergeben.

Sie haben den dwif-Impuls verpasst? Kein Problem – das Video finden Sie auf unserem Youtube-Kanal!

dwif-Impulse: Gästelenkung Reloaded - Innovative & wirkungsvolle Ansätze zur Verhaltensänderung
Video unseres dwif-Impulses online

 

Gästelenkung: Vom situativen Reagieren zum 360-Grad-Blick

Die Corona-Pandemie hat seit März 2020 den Bedarf für Gästelenkung in vielen Destinationen teilweise „schmerzhaft“ offengelegt. Viele DMOs und Kommunen haben sich in der Folge mit den technologischen Möglichkeiten zur Messung von Besucherströmen und Overcrowding-Situationen auseinandergesetzt. Einzelne Vorreiter haben hier mittlerweile enorme Erfolge erzielt. Doch noch immer fehlt es vielerorts an einer ganzheitlichen Sicht und Integration in das Destinationsmanagement.

Und vor allem lag der Fokus bisher eher auf Fragen rund um Daten und Technik, aber nur wenig auf der emotionalen, menschlichen Seite. Obwohl es doch vor allem um Menschen und ihr Verhalten geht, das in eine gewünschte Richtung gelenkt werden sollen.

 

dwif Impulse Gaestelenkung reloaded Abbildung

 


Belastbare Daten und innovative Technologien bleiben essenziell für die Gästelenkung.
Es braucht aber auch den Blick auf den (zu lenkenden) Menschen und seine Bedürfnisse.


 

Natürlich bleibt der technologische, datengetriebene Aspekt grundlegend wichtig. Das haben wir in den Vorgängerveranstaltungen stets bekräftigt. Trotz aller Fortschritte in den vergangenen Krisenjahren ist hier noch viel Forschungs- und Anwendungsbedarf festzustellen. Für eine ganzheitliche Betrachtung bekommt die Gästelenkung jedoch weitere Komponenten: Um das Gästeverhalten tatsächlich beeinflussen zu können, braucht es einen stärker verhaltensorientierten und im besten Fall verhaltenspsychologischen Ansatz. Denn Menschen lassen sich in der Regel nur bedingt lenken und leiten – erst recht in Freizeit und Urlaub.

 

Verhaltenspsychologisches Know-How als wichtiger, integraler Teil der Gästelenkungsstrategie

Es müssen also Methoden zur Anwendung kommen, die es den Gästen leicht machen, eine (im Sinne der DMO) „richtige“ Entscheidung zu treffen. Die Gästelenkung muss an der Schnittstelle aus Daten, Technik und menschlichen Bedürfnissen ansetzen. Dazu haben wir uns für unseren dwif-Impuls bewusst Gäste eingeladen, die uns zu diesem Thema spannende, horizonterweiternde Ideen liefern können, wie Anreize zur Verhaltensänderung bestmöglich in die Gästelenkungsstrategie von Destinationen miteinbezogen werden können.

 

Let’s talk – Unsere Gäste 

In der anschließenden Diskussion berichteten unsere Gäste von ihren Erfahrungen aus der Praxis:

Claudia Luger-BazingerClaudia Luger-Bazinger (Salzburg Research Forschungsgesellschaft) ist Verhaltenspsychologin und beschäftigt sich seit Jahren damit, wie man das Verhalten von Menschen zum Positiven beeinflussen kann. Schwerpunkt ihrer Forschungstätigkeit bei Salzburg Research ist die Mobilität, zunehmend aber auch touristische Fragestellungen.

 

Dirk Schmücker Dirk Schmücker (Institut für Tourismus- und Bäderforschung in Nordeuropa) brachte Einblicke in das aktuelle Forschungsprojekt „AI-Recommender im Tourismus“ mit, das er für das NIT betreut. Hier möchte er Gästelenkung und künstliche Intelligenz zusammenbringen. Geht es nach ihm, könnten künftig sogenannte „Recommender“ Prognosen und Alternativen für bereits überfüllte Hotspots empfehlen.

 

Tilman Sobek Tilman Sobek (absolutGPS) hat aus seiner langjährigen Beratungstätigkeit heraus einen pragmatischen und ganzheitlichen Blick auf das Thema Gästelenkung. Das haben wir zuletzt in unserem gemeinsamen Projekt für die Stadt Kassel schätzen gelernt. Er engagiert sich zudem auch im Vorstand von Digitize the Planet und im Mountainbike Tourismus Forum, wo das Thema ebenfalls präsent ist.

 

Jacqueline AlbersJacqueline Albers (Autorin „Gute Reise. Handbuch für nachhaltiges Reisen“) widmet sich intensiv dem Thema Nachhaltiger Tourismus. In einem Videoeinspieler machte sie sich intensiv Gedanken dazu, was wir von der Nachhaltigkeit in Bezug auf die Beeinflussung von Gästeverhalten lernen können und welche Hebel der Tourismus wirklich hat.

 

Was wir mitgenommen haben

  • (1) Methoden gibt es viele, doch kein Patentrezept für die Änderung von (Gäste-)Verhalten.
    In einem kurzen Snackinput zeigte uns Claudia Luger-Bazinger zunächst, welche Techniken es in der angewandten Forschung gibt, um Verhalten von Menschen in eine gewünschte Richtung zu lenken. Das Spektrum ist breit, Nudging nur eine von vielen Methoden und Ansätzen. Der Tourismus kann in diesem Bereich viel von anderen Branchen (z.B. Mobilität, Gesundheit, Ernährung) lernen und gute Ideen auf die Gästelenkung übertragen. Wichtig ist allerdings eine fundierte, datenbasierte Strategie, die aufzeigt, in welche Richtung das Verhalten verändert werden kann und muss. Daten zeigen auch, wie viele Besucher*innen überhaupt umgelenkt bzw. erreicht werden müssen. Dirk Schmücker rechnet vor: Ist die betroffene Region (Berg, Straße, Strandabschnitt, etc.) etwa an Peak-Tagen zu 110% ausgelastet, müssen nicht alle Gäste verteilt werden. Vielmehr reichen 10%, für die man sich auf besonders lenkungsbereite Teilgruppen konzentrieren kann. Es sind also stets individuelle Lösungen gefragt.
  • (2) Relevanz entscheidet über die Akzeptanz von Verhaltensbeeinflussung.
    Der beste Stupser oder Nudge wirkt nur dann, wenn er von den Gästen als für ihn persönlich hochrelevant wahrgenommen wird, zum Beispiel, weil er einen Bezug zu seiner sozialen Peer-Group aufweist. Denn je besser eine Botschaft an die Zielgruppe angepasst ist, desto eher können sich die Gäste damit identifizieren. Im Nudging gilt also einmal mehr: Mehr Personalisierung, weniger Gießkanne. Neben belastbaren Daten zu Zielgruppen und ihren individuellen Bedürfnissen ist hier auch Trial-und-Error gefragt, um herauszufinden, welche Botschaften welche Gäste wirklich emotional erreichen und – im wahrsten Sinne des Wortes – bewegen.
  • (3) Der Default entscheidet.
    Im Zusammenhang damit steht auch die soziale Voreinstellung der Gäste, in der Verhaltensforschung auch „Default-Effekt“ genannt. Gemeint ist damit eine übermäßige Bevorzugung derjenigen Option, bei der eine Person keine aktive Entscheidung trifft. Im touristischen Kontext ist der tägliche Handtuchwechsel im Hotel ein gutes Beispiel: Will der Gast saubere Wäsche, muss er selbst aktiv werden. Eine Voreinstellung, die das aus Hotelsicht gewünschte Verhalten wahrscheinlicher macht. Doch auch bei weit gewichtigeren Entscheidungen besitzen Defaults eine enorme Bedeutung, die sich auch für die Gästelenkung nutzen lässt.
  • (4) Sensibilisierung und Veränderung des Mindsets fängt in der Customer Journey früh an.
    Welche Rolle DMO und ihre Partner*innen dabei spielen, wird klarer, wenn man sich die Einflussmöglichkeiten zur Veränderung eines Defaults anschaut. Denn, Hand aufs Herz, was sind wirklich entscheidenden Kontaktpunkte, an denen Menschen sich Inspiration für Reiseziele und -aktivitäten holen? Das Mindset zur Beantwortung der für die Gästelenkung wichtigen Fragen wird in aller Regel weit vor der Reise geprägt: Wann ist die beste Reisezeit, um an die See zu reisen? Auf welchen Gipfel muss man im Leben gestiegen sein? Welches Must-See darf ich nicht verpassen, wenn ich in Stadt xy fahre? Je häufiger Bilder von der Ostsee im Sommer oder bestimmten Sehenswürdigkeiten gezeigt werden, desto eher werden sie zum Default für Reisepräferenzen, die dann nur schwer wieder zu durchbrechen sind. Und so werden vor allem inspirationsorientierte Kontaktpunkte weit vorne in der Customer Journey zu Game Changern, wenn es um Lenkung von Gästen geht.
  • (5) Gute Lenkung braucht Gäste im Flow.
    Dabei darf aber keinesfalls das spielerische Element verloren gehen, wie Tilman Sobek und Dirk Schmücker betonen. Gästelenkung sollte nicht in der rationalen Gehirnhälfte stattfinden, sondern im Optimalfall so, dass Besucher*innen gar nicht mitbekommen, dass sie gelenkt werden. Freiwilligkeit wird zum Schlüssel des Erfolges, die durch Techniken wie Gamification auch in der Gästelenkung erreicht werden kann. Spielerische Elemente könnten Gäste auch dazu bewegen, aus ihrer ursprünglichen, sozialen Default-Blase („da wo alle anderen sind, will ich auch hin“) auszubrechen und, ganz im Sinne der Gästelenkung, neue Wege abseits der ausgetretenen Pfade auszuprobieren.
  • (6) Transparenz und Mehrwert sind Voraussetzung.
    Nudges werden eher akzeptiert, wenn sie offen kommuniziert werden und dem Gast einen Nutzen stiften. Sonst läuft man Gefahr, dass die Maßnahmen manipulativ wirken und auf Ablehnung stoßen. So rät Claudia Luger-Bazinger dazu, auf keinen Fall Zahlen künstlich zu verändern, um beispielsweise eine hohe Auslastung zu suggerieren. Ihr Tipp: Den Mehrwert für den Gast in den Mittelpunkt rücken, sei es beispielsweise die Betonung des Informationsvorsprungs, ein Insidertipp von Expert*innen vor Ort oder ein hochwertigeres Besuchserlebnis. Auch Dirk Schmücker ist der Meinung, dass es für die Gästelenkung in den nächsten Jahren in erster Linie darauf ankommt, verlässliche und glaubwürdige Informationen zu liefern, um zunächst überhaupt das Vertrauen in die Systeme aufzubauen.
  • (7) Die beste Information nützt nichts, wenn sie nicht beim Gast ankommt.
    Daten sind entscheidend, um Informationen zu Frequenzen, Auslastungen und Co. belastbar ableiten zu können. Aber wie bringt man sie wirklich an den Mann oder die Frau, damit diese sie zum richtigen Zeitpunkt und am richtigen Ort bekommen und auf dieser Grundlage vollumfassend informiert eine Entscheidung treffen können? Dazu ist es essenziell, die für die Lenkung wichtigen Informationen über die richtigen Kanäle und an den relevanten Touchpoints auszuspielen. Um es mit den Worten von Dirk Schmücker zu sagen: „Was nutzt es, die Information über einen zu vollen Strandabschnitt in die eigene PWA zu integrieren, wenn nur 2% meiner Gäste überhaupt darauf zugreifen?“ Wichtiger sei es, die wirklichen Massen-Kontaktpunkte in den Kommunikationsmix einzubauen – und das sind eben die Kanäle, die Menschen ohnehin nutzen. Warum also nicht Frequenzdaten und Empfehlungen in die großen Suchmaschinen und Buchungsportale integrieren, um höhere Reichweiten zu erzielen. Denn nur wenn die Informationen viele Menschen erreichen, kann das Gästeverhalten effektiv beeinflusst werden.
  • (8) Psychologisches Know-How in den DMO-Alltag integrieren.
    DMO müssen sich in Anbetracht der Komplexität der Gästelenkung deutlich interdisziplinärer aufstellen. Im letzten Jahr haben wir dies vor allem von der Daten- und Technikexpertise her beleuchtet (Mehr erfahren Sie hier.). Mit der Verhaltenspsychologie kommt ein weiterer Aspekt hinzu. Müssen also DMO künftig alle auch Nudging-Expert*innen einstellen? Unsere Diskussionsrunde zeigt: Psychologisches Know-How wird wichtiger, ist aber in vielen DMO zumindest grundlegend schon vorhanden. Allerdings kann man gerade in der Verhaltensbeeinflussung noch stark von anderen Branchen lernen und vorhandenes Expertenwissen konsequent für die eigene Gästelenkung nutzen. Hier kommt es darauf an, Kompetenzen bei allen Teammitgliedern zu erweitern und für psychologische Themen und Verhaltensforschung zu sensibilisieren. Der Rest ist neugieriges und mutiges Ausprobieren und Lernen, wie so oft im Destinationsmanagement-Alltag.

 

 

Herzlichen Dank an unsere Gäste und alle, die live dabei waren! Und...

wenn Sie unseren dwif-Impuls nicht live verfolgen konnten, jetzt aber Lust bekommen haben, sich die spannende Diskussion in voller Länge anzusehen, schauen Sie einfach auf unserem YouTube-Kanal vorbei. Dort finden Sie auch die Aufzeichnungen der bisherigen Events dieser Reihe, wie beispielsweise "Agilität & Resilienz",  "Qualitätsmanagement im Tourismus", „KPIs und ihr Einsatz in der Praxis“ oder „Leuchtturmprojekte als Impuls für die Region“ und viele andere mehr.

P.S.: Unsere dwif-Impulse 2022 sind online! Melden Sie sich jetzt kostenfrei an.

 

Hier geht's zum Video "Gästelenkung Reloaded"

dwif-Impulse: Gaestelenkung reloaded

 


 

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dwif-ImpulseWir möchten unser Wissen teilen und gemeinsam mit Ihnen Tourismus neu denken. Unser Online-Format "dwif-Impulse" bietet regelmäßig spannende Gelegenheiten, um sich virtuell zu den Themen auszutauschen, die uns in der Tourismusbranche bewegen. Sehen wir uns?

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