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„Gästelenkung in touristischen Destinationen“: Erfahrungen aus vier DMOs zeigen Handlungsbedarf

Donnerstag, 01. Oktober 2020

Die Sommersaison 2020 war anders. Welche Herausforderungen sie tatsächlich für die Gästelenkung vor Ort mit sich brachte, darüber haben Dr. Andrea Möller und Maike Berndt am 22. September 2020 mit vier Destinationsmanager*innen im Rahmen unserer dwif-Online-Reihe „Gästelenkung in touristischen Destinationen“ gesprochen. Über 150 Teilnehmer*innen aus ganz Deutschland waren im Auditorium dabei. Unsere Learnings aus Oberbayern, dem Spreewald, St. Peter-Ording und Winterberg haben wir für Sie zusammengefasst. Die Themen für Teil III stehen auch schon fest.

dwif „Gästelenkung in touristischen Destinationen“: Erfahrungen aus vier Destinationen zeigen Handlungsbedarf
Video & Zusammenfassung von Part II

Fokusthema Part II: Bilanz & Erfahrungen aus der Sommer-Saison 2020

Der diesjährige Sommer ist besonders. Mit ihren ganz speziellen Herausforderungen zwingt die Corona-Krise viele Destinationen zum Umdenken. Gerade an der Küste und im Alpenraum geriet die Infrastruktur schon wenige Tage nach den ersten Lockerungen durch den Besucher*innenansturm an ihre Grenzen. Wie es genau lief und was die betroffenen Regionen unternommen haben, um der Lage Herr zu werden, darum sollte es in Part II unserer dreiteiligen Online-Reihe „Gästelenkung in touristischen Destinationen“ gehen.
Mit dabei waren
  • Oswald Pehel | Geschäftsführer Tourismus Oberbayern München (TOM) e.V.
  • Denis Kettlitz | Pressesprecher Tourismusverband Spreewald
  • Constanze Höfinghoff | Geschäftsführerin Tourismus-Zentrale St. Peter-Ording
  • Winfried Borgmann | Prokurist Winterberg Touristik und Wirtschaft GmbH

 

Neue Zielgruppen – neue Herausforderungen

Erste Erkenntnis, die alle vier Destinationen betraf: Der Corona-Sommer brachte viele neue Gästegruppen. Waren es in St. Peter-Ording Nordsee-Unerfahrene aus der ganzen Republik, denen z. B. Gefahren von Ebbe und Flut erst einmal nahegebracht werden mussten, so konnte sich der Spreewald über einen deutlichen Zuwachs an Familien und jüngeren Individualgästen freuen, während Busgruppen größtenteils ausblieben.

Fast überall waren Wohnmobiltouristen mit ihrem Bedarf an zusätzlichen Stellplätzen, aber auch dem Hang zum verbotenen naturnahen Campieren eine Herausforderung für das Destinationsmanagement. Konfliktträchtig zeigten sich in diesem Jahr zudem die Zweitwohnungsbesitzer*innen angesichts zeitweiser Einreiseverboten aus anderen Bundesländern oder national abweichender Corona-Auflagen, wie z. B. in Winterberg bezogen auf die dort häufigen niederländischen und belgischen Ferienwohnungseigentümer*innen.

Die Überlagerung von insgesamt deutlich mehr Gästen, natursuchenden Tagesbesucher*innen und dem Freizeitbedürfnis der eigenen Bevölkerung führte insbesondere im bayerischen Alpenvorland immer wieder zu Ausnahmezuständen während der gesamten Saison. Aber auch Winterberg (Nähe Ruhrgebiet) oder der Spreewald (Berliner Ballungsraum) kamen an sommerlichen Ausflugswochenenden oft an ihre Grenzen. In St. Peter-Ording hatte man da gemeinsam mit allen anderen Küstenorten an den ersten Wochenenden zu Himmelfahrt und Pfingsten die Landes- und Ortsgrenzen für den Tagestourismus von vorneherein gesperrt, um eine absehbare „Flut“ nach dem Shutdown zu vermeiden.

Bevor wir näher auf die vor Ort ergriffenen Maßnahmen zur Besucherlenkung eingehen, möchten wir auch an dieser Stelle allen deutschen Tourismusdestinationen, ihren Leistungsträger*innen und den öffentlichen wie privaten Verkehrsträgern ein großes Lob aussprechen, dass sie mit ihrem beeindruckenden Einsatz Millionen Menschen einen bestmöglichen Urlaub im eigenen Land ermöglicht haben – trotz zahlreicher Auflagen und Hygieneanforderungen!


Der Ausblick auf die weitere Saison stimmt angesichts noch immer überdurchschnittlich hoher Buchungszahlen optimistisch, dass zumindest ein gewisser Teil der Umsatzausfälle aus dem Frühsommer bis zum Jahresende kompensiert werden kann. Die Hoffnungen und Prognosen zu Beginn der Krise haben sich zumindest für einige Destinationen ein Stück weit erfüllt: Das Urlaubsziel Deutschland konnte überzeugen und hat (zumindest kurzfristig) neue Gästezielgruppen gewonnen.

 

Oberbayern – mit dem Ausflugsticker gegen das Ausflugschaos

Zentrales Instrument der Gästelenkung in Oberbayern ist der sogenannte Ausflugsticker, der mit Meldungen zur Belegungssituation von Parkplätzen, Frequenz an Seilbahnen und anderen Hotspots zeitnah Informationen an Tagesgäste aus dem Großraum München ausspielen soll.

Gaestelenkung OberbayernLaut Oswald Pehel, Geschäftsführer des Tourismusverbands Oberbayern München, gelang es erstaunlich schnell, durch Kooperation mit Radiosendern und Zeitungen viele Endverbraucher*innen zu erreichen (1,7 Mio. Zugriffe). Aus dem zunächst redaktionell vor Ort mit Daten befüllten, soll in absehbarer Frist ein digital durch Echtzeit-Daten automatisch gefüttertes System werden.

Angesichts fehlender digitaler Ticketingsysteme bei vielen potenziellen Datenlieferant*innen wie Parkplatzbetreiber*innen, Seenschifffahrt etc. sind hier jedoch noch viele Voraussetzungen zu schaffen. Große Herausforderung bleibt weiterhin, neben den Top-Zielen schon in der Inspirationsphase auch weniger bekannte Ausweichziele in den Köpfen zu verankern. Nur wenn es gelingt, dieses Mindset nachhaltig zu verändern, kann eine entlastende Verteilung insbesondere des Tagestourismusaufkommens gelingen. Das ist aber eine langfristige Aufgabe für die DMO.

 

Spreewald – Orte der Weite entdecken

Der Spreewald setzte zur Lenkung der Gästeströme in erster Linie auf klassische Kommunikationsinstrumente. Die Marketingkampagne „Orte der Weite entdecken“ setzte bewusst kleinere Tourismusangebote abseits der Hot Spots in Szene. Im Corona-Sommer hat das (notgedrungen) erstaunlich gut funktioniert, so Denis Kettlitz, Pressesprecher im zuständigen Tourismusverband Spreewald. Im gesamten Spreewald waren steigende Besucherzahlen zu verzeichnen.

Gaestelenkung SpreewaldDennoch blieben Konflikte in den touristischen Zentren nicht aus, gerade auch auf den beliebten Wasserwegen und Flüssen. Hier sollen in nächster Zeit Gespräche mit Anbieter*innen geführt werden, um über Kapazitätsbegrenzungen, Alternativrouten oder Zeitfenster für bestimmte Aktivitäten wie z. B. das Stand Up Paddeling zu diskutieren. Zudem ist es wichtig, die Infrastruktur in den kleineren Orten nicht durch zu viele Gäste zu überlasten. Denn eins hat der Corona-Sommer im Spreewald gezeigt: Der Besucher*innen-Ansturm bringt nicht nur qualitativ hochwertige Anbieter*innen auf den Plan. Und so könnte sich aus der Chance des Jahres 2020 auch ein deutliches Qualitätsproblem ergeben. Die Region, die bereits vor Corona oft an Belastungsgrenzen gestoßen ist, sucht also derzeit wieder nach einem Weg, die einzigartige Spreewälder Erlebnisqualität zu erhalten.

 

St. Peter-Ording – High Tech mit Festival-Feeling

Constanze Höfinghoff, Tourismuschefin von St. Peter-Ording hat ihren Ort bereits zu Beginn der Pandemie als permanent stattfindende Großveranstaltung begriffen. 4.000 Einwohner*innen stehen hier in der Hochsaison 35.000 Übernachtungsgästen gegenüber, Tagesgäste noch nicht einmal mitgezählt. Da lag das Engagement eines Technologiepartners mit Festivalerfahrung wie Lufthansa Industry Solutions für ein entsprechendes Krisenmanagement nahe.

Gaestelenkung St. Peter-OrdingZwei Kameratypen liefern von einem lernenden Algorithmus ausgewertete Bilder: Zum einen messen sie, wie viele Menschen sich auf Zugängen wie Brücken und Strandübergängen gerade bewegen; zum anderen, wie dicht gedrängt Menschen an bestimmten Plätzen wie beispielsweise der kulinarischen Meile im Hauptortsteil tatsächlich stehen – natürlich streng datenschutzkonform. Werden bestimmte, aus Erfahrung abgeleitete, Grenzwerte überschritten, ergreifen Mitarbeiter*innen der Tourismuszentrale und Polizist*innen entzerrende Maßnahmen vor Ort.

Das weist aber auch auf den zweiten entscheidenden Punkt für eine erfolgreiche Gästelenkung hin: Ordnungskräfte müssen den Mehrwert der Messsysteme verstehen und gemeinsam verabredete Maßnahmen in der Folge auch konkret durchgesetzt werden. Diese Zusammenarbeit zwischen Tourismuszentrale, Ordnungsamt und Exekutive nachhaltig zu vertiefen und zu institutionalisieren, darin sieht Constanze Höfinghoff eine wichtige Aufgabe, die alle DMOs im Bereich Besucherlenkung zu bewältigen haben. Ihr Zukunftswunsch: Achtsamkeit und Verantwortungsgefühl aller Beteiligten und mehr Spielräume für intelligente Lenkungslösungen wie gerade Around me-Funktion oder Push-Nachrichten zur Frequenzsituation, die bisher durch die strengen Datenschutzauslegungen verhindert werden.

 

Winterberg – von Verkehrsproblemen & Tourismusakzeptanz

Der Ort Winterberg im Hochsauerland ist normalerweise vor allem im Winter sehr gut besucht. Aus der Skihochsaison kennt Winfried Borgmann, Prokurist der Winterberg Touristik und Wirtschaft GmbH, die Probleme des Overtourism seit langem, vor allem den hohen Verkehrsdruck.

Gaestelenkung WinterbergNun, im Corona-Sommer 2020, haben sich viele Konfliktthemen in den Sommer verlagert. Staus auf den Zubringern und Parksuchverkehr im Ort, aber auch die überfüllte Infrastruktur der Wanderwege und Konflikte zwischen Wander*innen und E-/Mountainbiker*innen stellten Winterberg vor immense Herausforderungen – bis hin zu härter werdenden Diskussionen in Politik und Bevölkerung. Vor allem im Bereich der Verkehrslenkung wird sich nach diesen Erfahrungen schnell etwas bewegen. Seit langem ist Winterberg mit den Nachbarkommunen in Diskussionen über ein intelligentes Leitsystem, das Verkehrsströme bereits ab der Autobahn besser in der Region verteilt. Eine Blaupause für den nächsten Winter liegt damit auf jeden Fall auf dem Tisch, vor allem da sich Winterberg zukünftig stärker als nachhaltige Skidestination positionieren möchte.

 

Unsere Learnings aus der zweiten Veranstaltung

In Part II unserer Online-Reihe standen bewusst die Erfahrungswerte aus den einzelnen Destinationen im Fokus. Hier hat sich bestätigt, was bereits Kernerkenntnis aus Teil I (Link) war: Jede Destination ist individuell und braucht eigene, der Problemstellung und Ausgangslage angepasste Lösungen. Das zeigte die Bandbreite der Maßnahmen allein aus den vier Destinationen eindrucksvoll: Von Verkehrslenkung über Marketingkampagnen und regional vernetzte Redaktionssysteme mit Frequenzmeldungen bis zu High-Tech-Einsatz war im Corona-Sommer alles zu finden. Messen und informieren ist wichtig, zum Lackmustest werden jedoch die dann konkret vor Ort durchzusetzenden Maßnahmen von personell betriebener Entzerrung bis hin zu zeitlichen Sperrungen und konsequentem Parkmanagement.

Hier muss jede DMO in Abstimmung mit Kommune, privaten Einrichtungen und Exekutive einvernehmliche Vorgehensweisen und individuelle Lösungen erarbeiten. Bereits vorhandene Digitalstrategien, gut entwickeltes Contentmanagement und ein aktives Annehmen der Aufgabe Gästemanagement verschafft den Vorreiterdestinationen derzeit einen deutlichen Vorsprung. Nachzügler und Neulinge sollten versuchen, von diesen Erfahrungen zu profitieren und haben gleichzeitig den Vorteil, ihre künftigen Strategien auf aktuellen Technologien aufbauen zu können. Dazu braucht es mit Sicherheit aber immer wieder auch die aktive Unterstützung durch Fördermittel und Modellprojekte, denn die beträchtlichen Aufwendungen sind auch von größeren Destinationen nicht ohne externe Hilfen zu bewältigen.

Last but noch least: Das Thema Datenschutz wird uns wohl noch länger begleiten. Die Gästelenkung bewegt sich hier im Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach mehr Spielraum für intelligente Lösungen und der Gefahr, das Vertrauen der Gäste in die DMO zu verlieren. Funktionieren werden viele Lösungen ohnehin nur mit Gästeakzeptanz: Alle Destinationsvertreter*innen appellierten daher an die Selbstverantwortung der Menschen, sich auch weiterhin (gerade in der kommenden kalten Jahreszeit) an die Regeln und Bestimmungen zu halten.

 

Jetzt Part II der dwif-Online-Reihe "Gästelenkung" als Youtube-Video ansehen

Gaestelenkung dwif Daten Teaser

Hier geht's zur Aufzeichnung! (externer Link)

 

dwif-Online-Reihe „Gästelenkung in touristischen Destinationen“

Datenbasis für eine erfolgreiche Gästelenkung

Welche Daten gibt es, welche Daten braucht man, wie entsteht ein umfassendes Gesamtbild?

Zusammenfassung & Video von Part I

22. Juli 2020
Gästelenkung – Bilanz und Erfahrungen aus dem "Corona-Sommer" 2020

Wie lief die Gästelenkung in den Destinationen im Corona-Sommer 2020 und welcher Handlungsbedarf lässt sich daraus ableiten?

Zusammenfassung & Video von Part II

22. September 2020
Gästelenkung – Blick in die Zukunft

Welche Lösungen brauchen wir künftig für die Gästelenkung?

Zusammenfassung & Video Part III

18. November 2020

 

Alle Details zur dwif-Online-Reihe "Gästelenkung"

 


 

Mehr zur Gästelenkung im DTV-Leitfaden Tourismus Digital

dwif-MarkenberatungDer frisch erschienene DTV-Leitfaden „Tourismus digital“ für Destinationen widmet sich in seiner dritten Ausgabe gezielt digitalen Tools, die sich in der Corona-Pandemie als besonders hilfreich erwiesen haben.

Unsere Kolleginnen Dr. Andrea Möller und Maike Berndt fassen darin in einem Artikel prägnant zusammen, warum Besucherströme zu lenken, seit COVID-19 zu den drängendsten Aufgaben in Destinationen gehört. Denn digitale Gästelenkung unterstützt nicht nur die Lösung von Crowding-Problemen, sondern muss als Teil einer umfassenden Wertschöpfungsperspektive gedacht werden.

Das Magazin kann als ePaper heruntergeladen oder im Shop des DTV als Printversion bestellt werden.

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