Wir leben in einer VUKA-Welt. Also einer Welt, geprägt von zunehmender Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität, also der Mehrdeutigkeit vieler Signale. Was das mit Tourismusorganisationen macht und wie man es schafft, trotzdem beweglich zu bleiben, erfahren Sie in dieser spannenden Geschichte!
Wenn ich an meine Anfänge als Tourismusberater im dwif Mitte der 1980er Jahre zurückdenke, sehe ich mich monatelang am Schreibtisch sitzen und „Gutachten“ verfassen. Diese mündeten in umfangreiche Maßnahmenpläne mit kurz-, mittel- und langfristigen Zeithorizonten, viele mit Perspektiven von drei Jahren und länger. Ziel war eine „systematische, schrittweise“ Umsetzung.
Heute lächelt man (ein bisschen wehmütig?) über diese Gemütlichkeit. Die Digitalisierung sowie damit einhergehende Veränderungen in der Inspiration, im Informations- und Buchungsverhalten der Gäste und vieles mehr haben uns innerhalb weniger Jahre eine im Wortsinn ungeheure Beschleunigung beschert.
Unser Leben ist geprägt von zunehmender Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität, also Mehrdeutigkeit vieler Signale, die wir empfangen. Wie schnell kippt die Tourismusakzeptanz bei weiter steigender Nachfrage? Welche Vertriebskanäle werden im nächsten Jahr noch relevant sein? Wie bleiben regionale DMO zukunftsfähig, wenn ihnen ihre bisherigen Einnahmequellen wegbrechen? Führt die Spracherkennung zum Aus touristischer Hotlines, welche Veränderungen bringen Technologien wie Chatbots oder Virtual Reality für den Gästeservice? Was steckt hinter „Open Data“ und was bedeutet die Forderung nach professionellem Datenmanagement für Leistungsträger und Tourismusorganisationen?
Schon die Bewältigung der Gegenwart wird zur Herausforderung, dabei sollen wir doch die Zukunft gestalten. Aber wie schaffen wir das, wenn alles fast gleichzeitig passiert?
Rund 60 Branchenexpert*innen diskutierten im Mai 2019 gemeinsam mit uns im Rahmen der dwif-Jahrestagung und Forschungsbeiratssitzung Herausforderungen und Lösungen auf dem Weg zu einer agilen Tourismusorganisation.
Traditionelle, lineare Strategien gehen von einem zeitlichen Nacheinander der Schritte Umfeldanalyse, Maßnahmendefinition und Erfolgsevaluierung aus und sind gut geeignet für Zeiten schwacher Dynamik. In der heutigen Turbowelt hilft uns besser der sogenannte triadische Ansatz.
Dessen Grundgedanke ist die Einsicht, dass alles erstens fast gleichzeitig und zweitens als ein Kontinuum abläuft. Weil eine (technische) Innovation die nächste jagt, brauchen wir im Tourismus leistungsfähigere Marktbeobachtungssysteme, die uns rascher und präziser auf Veränderungen und Chancen aufmerksam machen. Weil Anpassungsmaßnahmen komplexer und oft auch teurer sind, werden strategische, zudem branchenübergreifende Kooperationen und neue Ideen zum Erfolgsfaktor für die DMO.
Und nur Monitoringsysteme, die alle Möglichkeiten der Datengewinnung ausschöpfen, schützen vor Holzwegen und Fehlinvestitionen.
Dieser Dynamik können wir uns nur erfolgreich stellen, wenn wir uns mit der Frage intensiver als bisher beschäftigen, wie das gelingen kann. Schneller, digitaler, beweglicher, agiler heißt dabei der Auftrag.
„Unter Agilität versteht man die Fähigkeit eines Unternehmens, sich kontinuierlich entlang von Nutzerbedürfnissen an seine komplexe, turbulente und unsichere Umwelt anzupassen, indem es diese Veränderungen möglichst rechtzeitig antizipiert und sein Geschäftsmodell, seine Kultur und seine Arbeitsprozesse entsprechend erneuert. Dadurch werden Menschen in agilen Organisationen sukzessive befähigt, vom Reakteur zum proaktiven Gestalter der unternehmerischen Zukunft zu werden.“
Quelle: Lang, M, Scherber, St.: Der Weg zum agilen Unternehmen, Hanser Verlag, München 2019, S. 2
Die Mitarbeiter*innen und ihre Arbeitsweise sind die wichtigste Brücke zwischen den VUKA-Anforderungen und dem Unternehmenserfolg, sie machen den Unterschied. So, wie zum Beispiel bei Content-Management-Projekten die Technik 10 Prozent, die sie nutzenden Menschen aber 90 Prozent des Erfolges ausmachen, gilt bei der Agilität grundsätzlich: Der Blickwinkel agiler Unternehmen erweitert sich von den Aufgaben zum Team, auf Kulturen und Arbeitsprozesse.
Kennzeichen agiler (Tourismus-)Unternehmen |
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Flexibles Reagieren auf Veränderungen statt starrem Befolgen eines Plans. | Kleine, funktionierende „Testprodukte“ in kurzen Zeitspannen statt langwieriger Großprojekte. |
Beteiligung der Betroffenen und Change-Projekte rund um motivierte Menschen. | Individuen und Interaktionen vor Dokumentationen, Prozessen und Werkzeugen. |
Rechtzeitige Kommunikation und hohe Transparenz ggü. den Mitarbeiter*innen. | Regelmäßiges Feedback und selbstkritische Reflexion von Veränderungen. |
Veränderung als Daueraufgabe betrachten, nicht als befristetes Projekt. |
Quelle: nach Lang & Scherber 2019, S. 85 ff, verändert durch dwif (Dr. Mathias Feige)
Agile Unternehmen erkennt man daran, dass sie viel von der Start Up-Szene übernehmen: Dazu gehören flache Hierarchien, Projektteams mit hoher Eigenverantwortung und Entscheidungskompetenz, eine in die Teams eingeflochtene Innovations-DNA statt einer „Stabstelle Innovation bei der Geschäftsführung“.
Und: Ein – in der Höhe natürlich zu begrenzendes – Risikokapital, um auch mal etwas ausprobieren zu können, und, damit verbunden, eine aktive Fehlerkultur. Flexible Arbeitsräume mit einer Mischatmosphäre aus Büro und Wohnzimmer, Home Office und viele andere scheinbare Kleinigkeiten, die Zufriedenheit und Familienfreundlichkeit fördern, unterstützen Agilität. Scrum- und andere erprobte Techniken helfen bei der Umsetzung.
Das alles führt schließlich zu New Work, dem aktuellen Zauberwort zur Arbeitswelt. Eine ebenso banale wie folgenreiche Erkenntnis darin: die Mitarbeiter*innen ticken sehr unterschiedlich. Die Babyboomer haben eine andere Einstellung zu Leben und Arbeit, zu Leistung, Entlohnung und Freizeit, als die Vertreter*innen der Generationen X, Y und Z. Work-Life-Balance meint heute nicht mehr nur das gesunde Gleichgewicht aus leben und arbeiten, sondern steht für das individuelle Konzept ganzheitlicher Lebensführung.
Folglich brauchen wir viel differenziertere, individualisierte Strategien der Mitarbeiterfindung, -führung und -bindung als bisher. Wo es früher den Standard-Arbeitsvertrag für alle gab, handeln wir heute mit allen einen persönlichen aus.
Welch anspruchsvoller Balanceakt zwischen betrieblichen und persönlichen Bedürfnissen, gerade für Klein(st)betriebe der Tourismuswirtschaft, sie brauchen hier Unterstützung!
‚One fits all‘ hat jedenfalls in der Arbeitswelt ebenso ausgedient wie in der Konsumwelt. Last but not least der Blick nach ganz vorn: wir müssen schon jetzt beginnen, uns mit der gerade heranwachsenden Generation Alpha der bis zu 10-Jährigen zu beschäftigen, denn schließlich wollen wir die ersten von ihnen schon in wenigen Jahren für eine Ausbildung in unseren Betrieben gewinnen.
Und da schließt sich (vorläufig) der Kreis: agil zu sein meint also sowohl neue Konzepte für die Strukturen, Arbeitsweisen und Entscheidungssysteme der Organisationen, als auch für die Menschen, die in ihnen heute und morgen arbeiten und die sie tragen sollen.
Das wird nur gelingen, wenn sie das auch wollen.
Unsere Erfahrung in der Tourismusberatung zeigt, dass die Umsetzung dieser Prinzipien in privaten Unternehmen teilweise leichter ist als in öffentlichen Strukturen und relativ starren Hierarchien, Tarifsystemen, Vorgaben für Etatverwendungen. Die Welt verändert sich schneller als die öffentliche Hand, so dass bisweilen kreative Lösungen gefragt sind. Wir sind davon überzeugt: vieles lässt sich dennoch umsetzen. Agilität ist eine Haltung, die zu einem veränderten Verhalten führt. Das braucht Energie und Zeit.
„Es ist viel in Bewegung: Wir lösen uns von den Urlaubsthemen und gehen in ein inspirierendes Zielgruppen-Marketing. Einen besonderen Fokus legen wir auf die Bereiche Digitalisierung, Internationale Marktbearbeitung und auf ein umfassendes Qualitätsmanagement. Wir verstehen unsere Neuausrichtung nicht als festgeschriebenes Vorhaben, sondern vielmehr als einen dynamischen Prozess.“
So bringt Maike Zumbruck, Geschäftsführerin TourismusMarketing Niedersachsen GmbH, die Essenz der Neuausrichtung in ihrem Vorwort auf den Punkt.
Lesen Sie jetzt die Details zum Selbstverständnis, den Aufgaben und den Anpassungsprozessen der TMN!
Business as usual in den Destinationen nach dem weitgehenden Ende des Lockdowns? Auch wenn Tagesausflüge, Übernachtungsreisen und damit das Geschäft in den letzten Wochen glücklicherweise wieder angelaufen sind, stottert der Motor. Was jetzt zählt, ist die Suche nach einer neuen Balance für die wichtigsten Themen der DMO. „Neue Balance“ deshalb, weil es bei vielen Veränderungen nicht um ein Entweder-Oder geht, sondern vor allem um mehr oder weniger starke Anpassungen an Veränderungen der Gästebedürfnisse und deren Kommunikationsverhalten. Und es geht vor allem um den Mut, einen neuen Weg einzuschlagen.
Unser Artikel "Corona-Krise als Chance für eine neue Balance: Plädoyer für einen mutigen Weg im Destinationsmanagement" im TN-Deutschland Magazin (Sommer 2020) definiert vier zentrale Fragen für das Destinationsmanagement 2020+, die Sie bei der Richtungsfindung leiten können.